Geistige Behinderung
Update: 17.06.2009
Home
Über uns
Über diesen Teil von Christians Behinderungen zu schreiben fällt mir am schwersten. Das liegt wohl auch daran, daß wir und jeder andere diese Behinderung eindeutig und sofort erkennen, sie aber andererseits kaum gegenüber anderen Behinderungen oder Krankheiten abzugrenzen ist. Welche der oben abgebildeten Gehirn-Regionen geschädigt sind wissen wir nicht so genau - etliche jedenfalls.
 
Viele Menschen haben bei diesem Handicap sofort einen Menschen mit Down-Syndrom vor ihrem geistigen Auge. Doch das liegt wohl daran, daß im TV vor allem diese Personengruppe visualisiert wird. Und Christian hat kein Down-Syndrom. Die geistige Behinderung Christians fällt optisch auf den ersten Blick überhaupt nicht auf - vielmehr muß man ihn einige Sekunden oder Minuten in seinem Verhalten erleben um sich dessen sicher zu werden. Spätestens wenn jemand einen normalen Dialog mit ihm beginnt wird sofort klar was los ist. Denn selbst wir können nach den vielen Jahren mit ihm nicht einfach plaudern ...
 
Christian weiß sehr sehr viel. Das wird uns immer dann bewusst, wenn er kleine Details, jahrelang unerwähnte Erinnenrungen, Daten oder Fakten ausplaudert, in den Raum stellt. Es ist uns jedoch bisher nicht möglich, dieses Wissen gezielt bei ihm abzurufen. Wenn Christian “gut drauf” ist, kann das für einige Minuten funktionieren und er beantwortet an ihn gestellte, klar formulierte Fragen mit eindeutigen und richtigen Antworten. Zumeist aber wiederholt er nur lapidar die Frage (auch mehrmals) und manchmal lächelt er dabei ein wenig. Wir hatten früher schon den Verdacht, er verstünde uns und will einfach nicht antworten. Doch das war es leider nicht. Eine Zeit lang hatten wir den Verdacht er sei ein Autist, da seine Situation etliche Parallelen zu Beschreibungen von Autismus aufweist (aber andere typische Merkmale fehlen hingegen). Wir wendeten die bei Autisten erprobte Methode der Verhaltensmodifikation auch bei Christian an. Für richtige Antworten oder Verhaltensweisen gab es Belohnungen. Doch was bei Autisten oft funktioniert, geht bei Christian bald ins Leere. Er freut sich zwar über Belohnungen und Aufmerksamkeit; die Anzahl richtiger Antworten konnten wir jedoch mit dieser Methode nur unwesentlich steigern. Hingegen konnten wir sein Verhalten damit etwas angepasster gestalten. Deswegen wenden wir die Muster der Verhaltensmodifikation auch heute noch bei ihm an.
 
Rechnen, schreiben, lesen - das geht alles nicht und wird wohl auch nicht werden ... aber er kann mit Freude bis zwanzig zählen, er kennt die Positionen der Lettern auf der PC-Tastatur auswendig und er weiß auf welche Tasten er drücken muß um eine speziell gewünschte Musik aus einem Gerät heraus anhören zu können. Aber er käme nie auf die Idee, etwas aktiv und initiativ anzugehen .... eine Plauderei ist unmöglich, auch ein Spiel mit einfachen Spielregeln mit ihm zu spielen war uns bisher nicht möglich.
 
So ist er mit seinen 18 Jahren ein körperlich junger kräftiger Mann mit dem geistigen Entwicklungsniveau eines dreijährigen Buben. Nach der ICD-10 Skala der Grade geistiger Behinderung gilt er mit der Einstufung F72 zu Recht als “schwer geistig behindert”. Werden wir alt genug werden und erleben, daß er auf der geistigen Ebene den 7. oder 8. Geburtstag erreicht ? Aus derzeitiger Sicht wahrscheinlich nicht. Da diese Aussicht deprimierend ist, haben wir aufgehört daran zu denken. Wir leben im Heute, mit ihm, und wir lieben ihn (und er uns). Zumindest wenn er uns nicht gerade völlig fertig macht. Das Glotzen der Leute rund um uns kümmert und berührt uns (fast) nicht mehr. Er ist ein lieber “Bub”. Und was heißt schon geistig behindert ???  Sind nicht auch jene irgendwie geistig behindert, die sich nicht an solche Menschen in ihrem Wohnort gewöhnen können ?
 
Egal - wir sehen jedenfalls darauf, daß es ihm gut geht, daß er sich ständig weiter entwickelt (und das tut er, wenn auch in Schüben und extrem langsam!!), daß er auch von zu Hause raus kommt; und daß er sich rechtzeitig von seinem Elternhaus trennen wird (ohne uns dabei zu verlieren). Bei dieser letztgenannten Aufgabe werden wir in den nächsten Jahren auf die Hilfe unserer Wohngemeinde und die Lebenshilfe angewiesen sein. Ist noch ein Stück Arbeit für uns alle, aber wir werden auch das schaffen wie alles andere bisher ....
 
Übrigens:
Die “Hirnforscher” waren am 20.10.2004 trotz aller Forschungserfolge noch sehr zurückhaltend betreffend Ich-Erfahrung und Sprache.
 
Meine Christian-Seite gefällt Dir, Du willst mir hallo sagen oder möchtest
konstruktive Kritik anbringen:
Schreibe mir doch in mein Gästebuch, ich freue mich! Danke.
Christian
Autismus
Blind
Epilepsie
Tourette Syndrom